Warum konventionelles Testen bei Software Product Lines (SPLs) schnell an seine Grenzen stößt

10.2.2025
12 Minuten
Variantenmanagement

Einführung: Variabilität als Herausforderung im Softwaretest

Software Product Lines (SPLs) ermöglichen es Unternehmen, aus einer gemeinsamen Plattform zahlreiche Varianten eines Softwareprodukts abzuleiten. Dies verspricht enorme Vorteile: maßgeschneiderte Lösungen für verschiedene Kunden, Wiederverwendung von Kernkomponenten und kürzere Markteinführungszeiten. Doch wo viel Variabilität ist, dort lauern auch besondere Herausforderungen – insbesondere beim Testen. Konventionelle Testansätze, die sich in Einzelprojekten bewährt haben, stoßen im Umfeld von SPLs schnell an ihre Grenzen. Der Grund liegt in der schieren Kombinationsvielfalt: Jede zusätzliche Option oder Funktion kann potenziell mit jeder anderen interagieren. Die Anzahl möglicher Produktvarianten wächst exponentiell an, was einen Test der gesamten Variabilität praktisch unmöglich macht.

In einem traditionellen Softwareprojekt ohne extreme Variabilität konzentriert sich das Testteam auf ein definiertes System oder wenige Ausführungsvarianten. Testfälle werden anhand von Anforderungen abgeleitet, und man versucht, alle wichtigen Funktionspfade abzudecken. Bei einer Software-Produktlinie hingegen existiert nicht das eine System – sondern ein ganzes Spektrum an möglichen Ausprägungen desselben Systems. Ein konventioneller Ansatz würde nun verlangen, jede Variante vollständig zu testen. Schon intuitiv ist klar, dass dies bei dutzenden oder gar hunderten von Features nicht skalierbar ist. Entweder müsste man gigantische Test-Ressourcen aufbieten oder Abstriche bei der Testabdeckung in Kauf nehmen. Beides ist in der Praxis kaum akzeptabel, vor allem nicht in sicherheitskritischen Bereichen. Hier kommt ein Partner wie bluesolve ins Spiel, der früh erkannt hat, dass neue Strategien und Werkzeuge nötig sind, um SPL-Tests effizient und zielgerichtet durchzuführen.

Konventionelles Testen vs. Variantenvielfalt

Warum genau versagt ein herkömmlicher Testansatz bei hoher Variantenvielfalt? Ein zentrales Problem ist die Kombinatorik. Angenommen, eine SPL bietet 20 optionale Features, die beliebig kombiniert werden können – schon das ergibt theoretisch über eine Million mögliche Varianten. In realen Produktlinien liegen die Zahlen oft noch viel höher. Konventionelle Tests würden versuchen, entweder alle Kombinationen abzudecken (unmöglich bei dieser Größenordnung) oder sich auf einige wenige Beispielkonfigurationen zu beschränken. Letzteres birgt enorme Risiken: Ungetestete Feature-Kombinationen können unerwartete Fehlverhalten zeigen. Gerade die Interaktion zwischen Funktionen ist eine häufige Ursache für Bugs, die im Einzelkomponententest verborgen bleiben. Wenn also nicht jede relevante Kombination geprüft wird, besteht die Gefahr, dass bestimmte Kundeninstallationen Probleme aufweisen, die vorher niemand entdeckt hat.

Ein weiteres Hindernis des klassischen Vorgehens ist die Redundanz und Ineffizienz. Viele Varianten teilen große Teile ihrer Funktionalität. Eine naive Herangehensweise würde jedoch Tests für jede Variante separat durchführen, was bedeutet, dass gemeinsame Funktionen immer wieder getestet werden. Dies verschwendet Zeit und Ressourcen. Gleichzeitig können subtile Unterschiede zwischen Varianten übersehen werden, wenn man fälschlicherweise davon ausgeht, dass erfolgreiches Testing einer Produktvariante automatisch die Fehlerfreiheit einer anderen garantiert. In der Praxis mussten Testmanager feststellen, dass ein solcher „Copy-and-Paste“-Testansatz für SPLs unbeherrschbar wird.

Besonders brisant wird das Thema im sicherheitskritischen Umfeld. In Domänen wie Medizintechnik, Automobil oder Luftfahrt unterliegen Änderungen strengen regulatorischen Auflagen. Jede mögliche Konfiguration muss gewisse Zulassungskriterien erfüllen. Das heißt, man kann es sich nicht leisten, irgendeine ausgelieferte Variante ungetestet zu lassen. Konventionelles Testen würde hier zu endlosen Testzyklen führen. Die Folge: Unternehmen beschränken oft proaktiv die Variabilität ihrer Produkte, um den Testaufwand zu reduzieren – was jedoch dem eigentlichen Nutzen von SPLs widerspricht.

Fallbeispiel: Eine komplexe SPL aus dem medizintechnischen Bereich

Einen eindrucksvollen Einblick in diese Problematik liefert eine Fallstudie aus der Medizintechnik, in der eine umfangreiche Software-Produktlinie über viele Jahre gewachsen ist. Die betreffende Plattform, eingesetzt im Bereich Bildgebung und Diagnostik, umfasste rund 900 optionale Features und wurde in etwa 35.000 Installationen bei Endkunden betrieben. Man kann sich leicht vorstellen, welche enorme Zahl an möglichen Varianten damit theoretisch realisierbar wäre. Ein konventioneller Testansatz stieß hier unweigerlich an seine Grenzen: Die Menge an erforderlichen Testfällen und -konfigurationen war schlicht nicht beherrschbar.

Die Projektverantwortlichen standen vor einem Dilemma. Einerseits sollte das System flexibel genug bleiben, um unterschiedlichste Kundenanforderungen abzudecken; andererseits musste die Qualität jeder einzelnen ausgelieferten Konfiguration verlässlich gewährleistet sein. Um diese Herausforderung mit traditionellen Mitteln zu lösen, blieb letztlich nur ein Ausweg: die Variabilität drastisch einzuschränken. In der Praxis bedeutete das, dass den Kunden nur noch vier vorkonfigurierte Produktvarianten angeboten wurden – neue Features wurden lediglich in einem vierteljährlichen Release-Zyklus ausgeliefert.

Mit anderen Worten: Aus Hunderten potenzieller Feature-Kombinationen wurden vier zulässige Standard-Konfigurationen definiert, die vollständig getestet wurden. Kundeninstallationen mussten sich an diese vordefinierten Varianten halten, um innerhalb des Qualitätsrahmens zu bleiben. Diese Einschränkung verlangsamte jedoch auch den Innovationszyklus erheblich. Mehr war mit klassischen Testprozessen schlicht nicht machbar.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie konventionelles Testen letztlich die Innovationskraft und Flexibilität einschränkt. Die SPL hätte theoretisch deutlich mehr Varianten liefern können – doch mangels testbarer Abdeckung blieb ein Großteil der Variabilität ungenutzt. Für die Kunden bedeutete das weniger Auswahlmöglichkeiten; für das Unternehmen bedeutete es, wertvolle Marktpotenziale ungenutzt zu lassen und mit langen Release-Zyklen leben zu müssen.

Es wurde klar: Ein neuer methodischer Zugang war erforderlich, um die Balance zwischen Variabilität und Testaufwand wiederherzustellen. Genau an diesem Punkt setzen moderne Strategien an – vielfach begleitet durch spezialisierte Dienstleister wie bluesolve, die Unternehmen bei der Bewältigung solcher Szenarien professionell unterstützen.

Feature Modeling: Varianten systematisch beherrschen

Der erste Schlüssel zum Erfolg war der Einsatz von Feature Modeling (Feature-Modellierung). Darunter versteht man das explizite Modellieren aller Features einer Produktlinie sowie ihrer Abhängigkeiten untereinander, meist in Form eines Feature-Diagramms. Ein Feature-Modell bildet hierarchisch ab, welche Funktionen optional oder obligatorisch sind, welche Alternativen sich gegenseitig ausschließen und welche Kombinationen möglich (oder verboten) sind. Dieses Werkzeug stammt aus der Software-Produktlinien-Engineering-Methodik und schafft Transparenz über die Variabilität.

Warum ist das so wichtig für das Testing? Nun, ohne ein formales Feature-Modell müsste das Testteam selbst herausfinden, welche Kombinationen von Funktionen sinnvoll oder gültig sind. Bei dutzenden oder hunderten Features ist das fast unmöglich. Das Feature-Modell stellt sicher, dass man die Spielregeln der Variabilität kennt: Es verhindert z.B., dass man Zeit auf Tests für Konstellationen verschwendet, die sowieso nie auftreten dürfen (etwa weil Feature A und Feature B sich laut Modell ausschließen). Gleichzeitig dient das Modell als Basis, um Testfälle gezielt zu generieren – dazu gleich mehr im Abschnitt zum kombinatorischen Testen.

In der oben genannten allstudie wurde ein umfangreiches Feature-Modell erstellt, das alle ~900 Features und ihre Beziehungen abbildete. Allein diese Modellierung war ein Kraftakt, aber ein unverzichtbarer: Sie liefert die Landkarte, um in der Variantenlandschaft navigieren zu können. Mit einem Feature-Modell kann man z.B. automatisiert ermitteln, wie viele theoretisch gültige Produktvarianten existieren oder welche Features am häufigsten gemeinsam vorkommen. Solche Informationen fließen in die Teststrategie ein. bluesolve empfiehlt im Rahmen seiner Beratungsprojekte stets, zunächst ein sauberes Variantenmodell aufzubauen. Aus Erfahrung weiß man dort: Nur was man modelliert hat, kann man auch systematisch testen. Durch professionelle Variantenmodellierung – einem Kernbestandteil der Leistungen von bluesolve – legen Unternehmen das Fundament, auf dem alle weiteren Optimierungen aufsetzen.

Darüber hinaus fördert Feature Modeling ein gemeinsames Verständnis zwischen Entwicklung, Test und Management. Wenn alle Beteiligten ein konsistentes Bild der Produktlinie vor Augen haben, lassen sich Testziele präziser ableiten. Zum Beispiel erkennt man dank des Modells, welche Features kritisch füreinander sind und besondere Aufmerksamkeit erfordern. Diese semantischen Abhängigkeiten (siehe weiter unten) können im Modell dokumentiert werden. Moderne Werkzeuge, oft unterstützt durch KI, helfen sogar dabei, Anomalien oder redundante Abhängigkeiten im Feature-Modell aufzudecken. Auch hier ist bluesolve ein kompetenter Partner: von der Auswahl geeigneter Tools bis zur Schulung der Mitarbeiter in Feature-Modellierung.

Kombinatorisches Testen: intelligente Auswahl von Testkonfigurationen

Das vielleicht mächtigste Instrument, um der Variantenflut Herr zu werden, ist das kombinatorische Testen. Statt stumpf jede mögliche Kombination von Features prüfen zu wollen, nutzt man mathematisch fundierte Strategien, um mit wenigen gezielten Testfällen eine maximale Abdeckung von Feature-Interaktionen zu erreichen. Ein bekanntes Vorgehen ist das sogenannte Pairwise Testing (oder allgemeiner t-wise Testing). Dabei stellt man sicher, dass jede mögliche Kombination von t Features zumindest in einer Testkonfiguration gemeinsam auftritt. Am häufigsten wird t=2 (Pairwise) gewählt, d.h. jede Paarung von Features kommt in mindestens einem Testfall vor. Der Clou: Viele Fehlfunktionen in variantenreichen Systemen treten bereits durch das Zusammenspiel zweier Optionen auf. Höhere Interaktionen (dreier oder mehr Features) sind natürlich auch möglich, aber empirische Studien und Praxisberichte zeigen, dass mit Pairwise schon ein Großteil der Interaktionsfehler gefunden werden kann. Erhöht man t auf 3 (Three-wise), steigt die Abdeckung noch weiter, allerdings auch die Anzahl benötigter Tests. Hier gilt es, einen pragmatischen Kompromiss zu finden.

Im Kontext der Oben genannten Fallstudie wurde eine kombinatorische Teststrategie angewandt, um die enorme Feature-Menge beherrschbar zu machen. Mithilfe spezieller Algorithmen (Stichwort Covering Arrays) wurden Testkonfigurationen generiert, die alle kritischen Feature-Kombinationen abdecken, ohne jede mögliche Variante einzeln testen zu müssen. Beispielsweise könnte ein einzelner Testlauf ein Dutzend Features zugleich aktivieren und damit viele Paarkombinationen in einem Rutsch verifizieren. Der gesamte Testfallkatalog wurde so optimiert, dass keine wichtige Zweier- (oder ggf. Dreier-)Kombination ungetestet blieb. Im Ergebnis konnte die Zahl der nötigen Testkonfigurationen dramatisch reduziert werden – Berichte sprechen oft von Einsparungen um Größenordnungen, während die Abdeckung wichtiger Interaktionen gewährleistet ist. So wird aus Millionen potenzieller Varianten vielleicht nur noch eine dreistellige Anzahl von Testfällen, oder sogar weniger, je nach Modellrestriktionen. Für das Testteam bedeutet dies einen quantensprungartigen Effizienzgewinn.

Wichtig zu betonen: Kombinatorisches Testen ersetzt nicht sämtliche Tests, sondern ergänzt sie. Neben diesen generierten Varianten müssen weiterhin grundlegende Funktionstests, negative Tests, Performance-Tests etc. durchgeführt werden. Aber was die Variantenabdeckung angeht, schafft die kombinatorische Methode eine systematische Sicherheit, die man manuell kaum erreichen könnte. Ein positiver Nebeneffekt ist die Objektivierung: Statt auf Bauchgefühl zu entscheiden, welche Kombinationen man testet, verwendet man einen reproduzierbaren, nachvollziehbaren Auswahlprozess. Gerade gegenüber Auditoren oder Zulassungsstellen (im Falle von Medizintechnik etwa dem TÜV oder der FDA) lässt sich so besser begründen, warum man auch bei 900 Features von ausreichender Testabdeckung sprechen kann.

Solche Methoden klingen komplex, doch zum Glück gibt es mittlerweile Tools und Expertenwissen dafür. bluesolve etwa hat Erfahrung mit der Einführung von Pairwise-Testwerkzeugen in großen Organisationsstrukturen. Sie unterstützen dabei, aus dem Feature-Modell heraus automatisiert Testkonfigurationen zu erzeugen, die eine optimale Kombinationsabdeckung bieten. Außerdem hilft bluesolve, die richtigen Parameter für t-wise Testing festzulegen (also ob Pairwise genügt oder an bestimmten Stellen Three-wise sinnvoll ist) und die generierten Tests in den bestehenden Testprozess zu integrieren. Das Ergebnis: Unternehmen können die Variabilität ihrer SPL wesentlich breiter ausschöpfen, ohne proportional mehr Testaufwand betreiben zu müssen.

Deployment-basiertes Testen: Fokus auf reale Kundenkonfigurationen

Neben der statistisch-kombinatorischen Optimierung stellte sich im Erfahrungsbericht ein weiterer Erfolgsfaktor heraus: das deployment-basierte Testen. Dieser Ansatz richtet den Testfokus auf tatsächlich ausgelieferte bzw. realistische Kundenkonfigurationen. Die Idee dahinter: Nicht jede theoretisch mögliche Feature-Kombination ist im Feld relevant. Oft kristallisieren sich in der Praxis bestimmte typische Konfigurationsmuster heraus (z.B. Standardpakete, häufig gewählte Optionen, regionale Varianten etc.). Beim deployment-basierten Testen werden solche realen Einsatzfälle priorisiert getestet.

Im Falle der 35.000 Installationen in unserer obigen Fallstudie konnte das Team analysieren, welche Variantenkombinationen bei den Kunden überhaupt vorkommen. Es zeigte sich vermutlich, dass die Kunden nicht annähernd alle 900 Features wild durcheinander aktivieren, sondern dass jede Installation einem bestimmten Profil folgt. Diese Erkenntnis lässt sich nutzen, um die Teststrategie zu verfeinern: Zunächst werden alle in der Realität existierenden Varianten vollständig getestet (denn hier ist ein Fehler am unmittelbarsten geschäftskritisch). Darüber hinaus kann man Tests für denkbare neue Kombinationen definieren, aber eben gezielt dort, wo Bedarf besteht.

Man führte hierzu das Konzept der „Customer-Required Subgraphs“ ein – auf Deutsch etwa “kundenbezogene Teilgraphen” des Feature-Modells. Dahinter steckt die Überlegung, das große Feature-Modell in kleinere, überschaubare Bereiche aufzuteilen, die jeweils für bestimmte Kunden oder Einsatzszenarien relevant sind. Jede konkrete Kundeninstallation lässt sich als ein Teilgraph des Gesamt-Feature-Modells darstellen, der genau die vom Kunden benötigten Features enthält. Indem man nun diese Teilmengen betrachtet, kann man für jeden Kunden(-typ) gezielt die Variationen innerhalb seines relevanten Umfangs testen. Wenn zum Beispiel ein bestimmter Kundenkreis nur 50 der 900 Features nutzt (in verschiedenen Kombinationen), dann konzentriert man sich auf die vollständige Validierung dieser 50 im Zusammenspiel – ohne dabei vom Rest des Modells abgelenkt zu werden. Sollten neue Kundenanforderungen auftreten, die neue Features oder ungewöhnliche Kombinationen erfordern, definiert man dafür einen neuen “Customer-Required Subgraph” und unterzieht auch ihn gezielt den nötigen Tests.

Dieser Ansatz hat zwei große Vorteile. Erstens wird sichergestellt, dass jede beim Kunden ankommende Konfiguration bereits durch die Testabteilung abgedeckt ist – ein unschätzbarer Wert in sicherheitskritischen Umgebungen. Zweitens vermeidet man Over-Testing: Ressourcen fließen nicht in exotische Varianten, die nie ein Kunde sehen wird, sondern in realitätsnahe Szenarien mit unmittelbarem Mehrwert. Das deployment-basierte Testen schließt also die Lücke zwischen abstraktem Variantenraum und konkreter Feldsituation. Es ist gewissermaßen ein Risk-Based Testing für SPLs: Man testet bevorzugt dort, wo das Risiko (in Form von häufiger Nutzung oder besonderer Kritikalität) am höchsten ist.

Auch bei diesem pragmatischen Vorgehen kann bluesolve Unternehmen unterstützen. Durch die Auswertung von Kundendaten, Nutzungsstatistiken oder Vertriebsfeedback lässt sich herausfinden, welche Feature-Kombinationen tatsächlich gefragt sind. bluesolve bringt zudem Erfahrung mit, wie man Feature-Modelle und Variantenmanagement so strukturiert, dass neue Kundenwünsche schnell in Testfälle überführt werden können. So bleibt man flexibel: Die Produktlinie kann wachsen und neue Märkte bedienen, ohne dass das Testteam den Überblick verliert. Im Gegenteil, der Test wird immer genau dort vertieft, wo neue Konfigurationen ins Spiel kommen.

Semantische Abhängigkeiten: fachliche Wechselwirkungen berücksichtigen

Eine wichtige Lehre aus dem Erfahrungsbericht war zudem, dass man über die rein formalen Abhängigkeiten im Feature-Modell hinaus schauen muss. Semantische Abhängigkeiten bezeichnen Zusammenhänge oder Wechselwirkungen zwischen Features, die sich aus deren inhaltlicher Bedeutung ergeben, selbst wenn sie nicht explizit als Regel im Modell stehen. Einfach gesagt: Nicht alle kritischen Interaktionen sind schon durch “Requires” oder “Excludes” im Feature-Modell abgedeckt. Manche zeigen sich erst, wenn man die Fachdomäne betrachtet.

Beispielsweise könnten zwei optionale Funktionen A und B technisch unabhängig sein (also laut Modell kombinierbar), aber im praktischen Einsatz zu einem gefährlichen Verhalten führen, wenn sie gemeinsam aktiviert sind. Vielleicht beanspruchen beide so viel Rechenleistung, dass ihre Kombination das System überlastet – eine klassische semantische Abhängigkeit. Oder Feature C hat nur dann einen Nutzen, wenn auch Feature D aktiviert ist; sonst würde der Kunde eine unsinnige Konfiguration erhalten (auch wenn das Modell es nicht verbietet). Solche Feinheiten gilt es aufzudecken und beim Testen zu berücksichtigen.

Im oben genannten Projekt wurden daher Domänenexperten hinzugezogen, um implizite Constraints zu identifizieren. Diese wurden als zusätzliche Regeln oder Hinweise in die Testplanung eingebracht. Einige semantische Abhängigkeiten führten vermutlich dazu, dass man bestimmte Feature-Kombinationen als besonders kritisch einstufte und in den Tests höher priorisierte. Andere Abhängigkeiten mündeten vielleicht in der Entscheidung, gewisse Kombinationen grundsätzlich nicht zuzulassen (weil sie keinen sinnvollen Anwendungsfall hatten oder Risiken bargen). So oder so: Die explizite Erfassung dieser fachlichen Wechselwirkungen war entscheidend, um keine Lücken in der Testabdeckung zu lassen.

Für die Teststrategie bedeutete das konkret: Wo bekannt war, dass erst das Zusammenspiel von drei oder vier bestimmten Features einen potenziellen Problempunkt darstellt, plante man gezielt einen Testfall ein, der genau diese Konstellation prüft – selbst wenn ein reines Pairwise-Schema eine solche Viererkombination eventuell nicht abgedeckt hätte. Semantische Abhängigkeiten wirken also wie ein zusätzlicher Layer über dem normalen Variabilitätsmodell: Sie lenken den Blick des Testers auf die wirklich wichtigen Szenarien.

bluesolve weiß aus Erfahrung, dass gerade in komplexen Domänen (wie etwa der Medizintechnik) das Fachwissen der Entwickler und Anwender eine Goldgrube für die Testoptimierung ist. Im Rahmen seiner Beratungsleistungen hilft bluesolve dabei, dieses Wissen strukturiert zu erheben und nutzbar zu machen. Etwa durch Workshops mit Stakeholdern werden relevante Abhängigkeiten gesammelt und ins Variantenmodell bzw. in die Testdesign-Richtlinien integriert. So entstehen zielgerichtete Testszenarien, die echte Risiken abdecken – etwas, das ein rein automatischer Ansatz womöglich übersehen würde.

“Customer-Required Subgraphs”: Teilmengen gezielt testen

Bereits angeschnitten wurde das Konzept der Customer-Required Subgraphs, also kundenbezogener Teilgraphen des Feature-Modells. Dieses Konzept verdient noch einmal besondere Erwähnung, da es in der Siemens-Healthineers-Studie als Innovation hervorgehoben wird. Was bedeutet das genau? Im Grunde handelt es sich um eine clevere Aufteilung des großen Ganzen. Anstatt den vollständigen Feature-Baum mit 900 Knoten in jedem Testlauf betrachten zu müssen, teilt man ihn in sinnvolle Segmente auf. Jedes Segment (Subgraph) repräsentiert die Features, die für eine bestimmte Kundengruppe oder Produktkonfiguration relevant sind.

Man kann sich das so vorstellen: Die gesamte Produktlinie deckt vielleicht mehrere Produktvarianten oder Module ab, die nicht alle Kunden gleichzeitig nutzen. Beispielsweise nutzen Laborkunden der Software nur die Features, die für Labordiagnostik nötig sind, während Radiologiekunden andere Feature-Sets verwenden. Für solche unterschiedlichen Nutzungskontexte definiert man je einen Teilgraphen im Feature-Modell. Innerhalb dieses Teilgraphen führt man dann wieder die oben beschriebenen Teststrategien durch (Feature Modeling, kombinatorisches Testen, etc.), aber beschränkt auf diesen Kontext. Die Testaufwände und -fälle werden somit pro Segment gemanagt, was überschaubarer ist als ein monolithischer Ansatz.

Der Kniff liegt darin, dass diese Teilgraphen sich überlappen können oder gemeinsam auf dem gleichen Kern aufsetzen. Dennoch erlaubt die Aufteilung einen modularen Testansatz. Wenn ein neuer Kunde mit einem neuen Anwendungsfall hinzugewonnen wird, der vielleicht ein bislang nicht genutztes Feature verlangt, kann man zielgenau den entsprechenden Subgraph testen, ohne die ganze Testbibliothek der anderen Bereiche anfassen zu müssen. Das erhöht die Wiederverwendbarkeit von Testergebnissen: Was im Subgraph A schon geprüft wurde, muss für Subgraph B nicht erneut verifiziert werden, solange B diesen Teil nicht betrifft.

Die “Customer-Required Subgraphs” tragen damit wesentlich dazu bei, den Testaufwand pro neu unterstützter Variante gering zu halten. In der Erfahrung der obigen Fallstudie konnte so die Starre der ursprünglich nur vier erlaubten Konfigurationen überwunden werden. Perspektivisch lässt sich denken, dass man mit dieser Methodik deutlich mehr als vier Varianten sicher unterstützen kann, ohne ins Chaos zu stürzen – weil man immer nur die differenzierenden Features zusätzlich testet.

Für ein Unternehmen bedeutet das: Mehr Flexibilität und schnellere Reaktion auf Kundenwünsche. Wo früher jede neue Variation einen riesigen Rattenschwanz an Tests nach sich zog, kann man nun mit begrenztem Mehraufwand neue Kombinationen freigeben. Und genau das ist es, was eine erfolgreiche Software Product Line ausmacht – variabel zu sein und dennoch beherrschbar.

bluesolve hat durch seine Mitarbeit an solchen Konzepten (die Entwickler von bluesolve waren teils selbst an der Fallstudie beteiligt) wertvolles Know-how gewonnen, wie man “Customer-Required Subgraphs” in der Praxis definiert und nutzt. Dieses Wissen gibt bluesolve an seine Kunden weiter, um auch deren SPL-Testmanagement agiler und skalierbarer zu gestalten.

Warum der herkömmliche Ansatz versagt – und was der neue bringt

Fassen wir die Erkenntnisse zusammen: Konventionelles Testen versagt bei SPLs hauptsächlich wegen mangelnder Skalierbarkeit. Die alten Methoden sind nicht dafür gemacht, mit hunderten von Variablen umzugehen. Es fehlt die Systematik, um aus der unendlichen Kombinationsmenge gezielt auszuwählen. Die Konsequenz waren entweder exorbitante Testaufwände oder riskante Lücken in der Qualitätssicherung. Im schlimmsten Fall, wie bei Siemens Healthineers zunächst gesehen, muss die Vielfalt künstlich beschnitten werden – ein Schritt, der das volle Potenzial einer Produktlinie brachlegt.

Der neue methodische Zugang hingegen verbindet mehrere intelligente Strategien zu einem ganzheitlichen Lösungsansatz:

  • Feature-Modellierung liefert die formale Grundlage und verhindert unnötige sowie ungültige Testkombinationen.
  • Kombinatorische Testgenerierung deckt mit deutlich weniger Testfällen die wesentlichen Interaktionen ab.
  • Deployment-Fokus stellt sicher, dass kein realer Anwendungsfall durchs Raster fällt, und priorisiert die wichtigen Varianten.
  • Semantische Analyse bringt Expertenwissen ein, um auch versteckte Abhängigkeiten abzusichern.
  • Segmentierung in Teilgraphen (Customer-Required Subgraphs) strukturiert den Variantenraum in beherrschbare Teile und ermöglicht iterative Erweiterung.

Diese Kombination hat sich in der Praxis als äußerst wirkungsvoll erwiesen. Im Ergebnis können wesentlich mehr Varianten unterstützt werden, ohne dass der Testaufwand exponentiell ansteigt. Die Qualität bleibt hoch, weil jede relevante Konstellation durchdacht abgedeckt wird – aber die Kosten und die Zeit für das Testing sinken drastisch im Vergleich zum naiven Ansatz. Gerade in Zeiten, wo Software-Produktlinien immer umfangreicher und dynamischer werden, ist dieser neue Ansatz ein Enabler: Unternehmen können ihren Kunden eine größere Auswahl und häufigere Updates bieten, ohne dafür eine untragbare Testing-Bürde schultern zu müssen.

Es lohnt sich auch, den kulturellen Wandel anzusprechen: Testteams entwickeln sich durch diesen Ansatz weiter – weg vom reinen Abarbeiten fix vorgegebener Tests hin zum gestaltenden Qualitätssicherer, der eng mit Produktlinien-Architekten und Variantenmanagern zusammenarbeitet. Tools übernehmen die Generierung vieler Tests, dafür planen Menschen die Strategie, definieren sinnvolle Kombinationsregeln und werten Ergebnisse aus. Dieser Wandel wird durch externe Partner wie bluesolve erleichtert, die mit ihrer Erfahrung und ihren Tools Hilfestellung leisten.

Mit bluesolve die SPL-Test-Herausforderungen meistern

Software Product Lines bringen unbestreitbar große Vorteile – doch nur, wenn man ihre Variabilität auch effektiv nutzen kann. Konventionelles Testen gerät hier schnell ins Hintertreffen, wie das Beispiel von Siemens Healthineers eindrucksvoll zeigt. Die gute Nachricht ist: Mit den richtigen methodischen Ansätzen und Werkzeugen lässt sich die Variabilität bändigen, ohne Qualitätseinbußen oder explodierende Kosten. Feature Modeling, kombinatorisches Testing, deployment-basiertes Vorgehen und die Berücksichtigung semantischer Abhängigkeiten sind hierbei die zentralen Bausteine. Die Erfahrung aus der Industrie belegt, dass ein solcher strukturierter Ansatz dem klassischen Vorgehen weit überlegen ist.

Allerdings ist der Weg dorthin kein Selbstläufer. Es bedarf Expertise, um ein komplexes Feature-Modell aufzusetzen, um die richtigen Parameter für kombinatorische Tests zu finden und um die Testprozesse entsprechend umzubauen. Genau hier unterstützt bluesolve Unternehmen als kompetenter Partner. bluesolve hat bereits zahlreiche Projekte im Variantenmanagement begleitet und dabei geholfen, SPL-Tests auf ein neues Level zu heben. Von der initialen Analyse der Produktlinie, über die Einführung passender Test-Tools, bis hin zur Schulung des Teams in neuen Vorgehensweisen – bluesolve steht beratend und operativ zur Seite.

Das Ergebnis sind effizientere Tests, zufriedenere Entwicklungsteams und letztlich robustere Produkte für die Kunden. Unternehmen können dank dieser Unterstützung die Vorteile von Software Product Lines voll ausschöpfen und sich auf ihre Innovationsfähigkeit konzentrieren, während die Qualitätssicherung skalierbar aufgestellt ist.

Wenn auch Ihr Unternehmen vor der Herausforderung steht, die Testkomplexität in einer variantenreichen Produktwelt zu bändigen, lohnt sich ein Blick auf die Lösungen von bluesolve. Mit dem richtigen Partner an der Seite gelingt es, konventionelle Grenzen im SPL-Test zu überwinden und in echte Wettbewerbsvorteile umzuwandeln.

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